
Kartierung gewebespezifischer Protein-Interaktionen
Welche Proteine in welchen Geweben interagieren, hat ein Team von Systembiologen der ETH Zürich vorhergesagt. Die Erkenntnisse der großangelegten Untersuchung sollen die Entwicklung spezifischerer Medikamente ermöglichen.
Die systematische Untersuchung von Protein-Wechselwirkungen mittels Laborexperimenten ist aufwendig und kompliziert. Ein Forschungsteam um Pedro Beltrao von der ETH Zürich hat deshalb nun in Nature Biotechnology einen systembiologischen Ansatz vorgestellt, um einen Atlas dieser Wechselwirkungen zu erstellen. Anhand einer bestehenden Proteom-Datensammlung konnte das Team vorhersagen, welche Proteine in einem bestimmten Gewebe interagieren und dort als mögliches Ziel von Medikamenten in Frage kommen.
Dafür griffen die ETH-Wissenschaftler auf bestehende Proteom-Daten von über 7.800 menschlichen Biopsien zurück. Anhand dieser riesigen Datensätze schlossen die Forschenden dann durch gemeinsames Auftreten von Proteinen auf gewebespezifische Protein-Interaktionen in elf verschiedenen Gewebearten. Insgesamt über 116 Millionen Protein-Assoziationen wurden dafür bewertet. Eine korrelierte Häufigkeit von Proteinen hat sich als genaues Maß zur Vorhersage von Interaktionen erwiesen – exakter als eine gemeinsame Expression. „Proteine, die im Team arbeiten, beeinflussen meistens auch die gleiche Krankheit“, so Beltrao. „Wenn wir also sagen können, welche Proteine beispielsweise ausschließlich in Nervenzellen zusammenarbeiten, können wir jene Gene, die in die Krankheit involviert sind, besser definieren.“
Überraschend zeigte sich in der aktuellen Studie, dass jede vierte Protein-Interaktion gewebespezifisch ist. Unterschiede in der Genexpression spielen dabei nur eine geringe Rolle. Stattdessen führen die Autoren diese Assoziationen auf subzelluläre Kompartimente zurück, die in bestimmten Zelltypen für ganz unterschiedliche Proteinkomplexe sorgen. Beispielsweise treten besonders viele solcher gewebespezifischer Assoziationen in Synapsen auf. Vor diesem Hintergrund erstellten die Forscher ein robustes, gehirnspezifisches Interaktionsnetz für 56 Schizophrenie-assoziierte Proteine, das tiefere Einblicke in Krankheitsmechanismen erlaubt, priorisierte Kandidaten liefert und neue potentielle Wirkstoffziele aufdeckt.
Für die Validierung der Protein-Interaktionen griffen die Autoren sowohl auf experimentelle Ansätze als auch auf die KI-gestützte Modellierung mit AlphaFold2 zurück. Die Verknüpfung genetischer Assoziationen, gewebespezifischer Interaktionsnetzwerke und dreidimensionaler Proteinstrukturen ermöglicht ein umfassenderes Verständnis der molekularen Zusammenhänge, wodurch Krankheitsgene noch präziser identifiziert und Krankheitsmechanismen besser verstanden werden können. Darüber hinaus sollen Medikamente ermöglicht werden, die gezielt in einem bestimmten Gewebetyp wirken und somit unerwünschte Nebenwirkungen vermeiden.
Dieser Ansatz wurde durch die Zusammenarbeit von Beltrao mit Open Targets unterstützt, einer öffentlich-privaten Partnerschaft, die eine offene Plattform zur Priorisierung von Wirkstoffzielen bereitstellt. Eine weitere Entwicklung des Instituts für Molecular Systems Biology der ETH Zürich ist die FLiP-MS-Technologie – als experimentelles Gegenstück zum bioinformatischen Ansatz. Mit der Technik lassen sich Proteinkomplexe direkt im Zelllysat messen und somit identifizierte Interaktionen validieren und charakterisieren.